Wolfsstunde

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Er ist ganz nah. Ich kann ihn spüren. Vielleicht wartet er schon auf mich. Hinter einem der vielen Bäume, die mir trügerischen Schutz versprochen haben, bevor ich durch den Schlamm in ihren Schatten gekrochen bin.

Jetzt wirken sie bedrohlich. Jeder von ihnen könnte das Versteck sein, hinter dem er auf mich lauert. Den Moment meiner Ahnungslosigkeit genießend. Den Geruch meiner Angst atmend. Bereit, sich aus dem Dunkel zu lösen und mich zu packen. Elegant und mühelos in seinen Bewegungen. Wenn er nah genug ist, habe ich keine Chance. Deswegen habe ich es mir die ganze Zeit nicht erlaubt zu ruhen. Immer tiefer habe ich mich von ihm in den Wald treiben lassen. Keinen Moment gezögert, eine neue Richtung einzuschlagen. Fort von ihm. Ich bin so erschöpft. Fast schon sehne ich ihn herbei. Aber noch habe ich Kraft. Ein bisschen halte ich noch durch. So leicht werde ich es ihm nicht machen.

Mein Fehler ärgert mich. Ich hätte nicht in den Wald laufen dürfen. Das hatte er gewollt. Deswegen hat er mich hergebracht. Und vielleicht bin ich auch jetzt genau an dem Ort, an den er mich ganz bewusst getrieben hat. Die Vorstellung beunruhigt mich. Ich bin müde vom vielen Laufen, kann nicht mehr klar denken. Und es ist kalt. Nur kurz ausruhen. Nur kurz Schutz suchen vor dieser kriechenden Kälte, die sich allmählich in mir ausbreitet. Der Schlamm an meinem Körper ist getrocknet. Die Haut darunter spannt. Doch die langen Stiefel haben sich mit der Feuchtigkeit des Waldbodens vollgesogen und halten sie erbarmungslos an meinen klammen Füßen. Bis auf den Schmerz ist kaum noch Gefühl in ihnen. Trotzdem tragen sie mich weiter durch das Laub, zwischen den Bäumen hindurch, der zwielichtigen Dämmerung eines sterbenden Tages entgegen.

Bald wird es noch kälter sein. Ich muss mich etwas ausruhen und auf die Nacht vorbereiten. Jetzt. Hier zwischen den Zweigen des gefallenen Baumes sieht er mich bestimmt nicht sofort. Ich kann mich anlehnen, den Beinen Erleichterung verschaffen. Wenn ich nur nicht so müde wäre. Mir ist klar, dass ich nicht einschlafen darf. Ich muss die Augen offen halten, bereit zur Flucht bleiben. Einen Ausweg suchen. Doch in der sich ausbreitenden Dunkelheit verschwimmt die Welt hinter den Bäumen. Schatten gehen in Schatten über. Selbst wenn es ein Ende dieses Waldes gäbe – ich würde es nicht sehen können. Deswegen ist es umso wichtiger, dass meine Schritte nicht berechenbar sind. Ich muss weiterlaufen. Immer weiter. Sonst bin ich verloren.

Aber erst muss ich wieder zu Kräften kommen. Das Adrenalin hat mich schon viel zu lang in Bewegung gehalten. Der Rausch lässt nach. Mein Körper ist zu erschöpft. Die Anstrengung fordert ihren Preis. Ich kämpfe gegen die Müdigkeit an, die mich von der Welt entrückt. Wie in einem Sumpf versinke ich in ihr. Immer weiter gleite ich fort. Immer zäher werden meine Gedanken. Immer träger wird mein Geist. Der Schlaf lockt mit dem Versprechen süßen Vergessens. Bestimmt stehe ich gleich auf. Nur einen Moment noch…

Dunkelheit.

Dann höre ich es. Ein Klacken. Irgendwie gedämpft. Ich verstehe nicht sofort, was es bedeutet. Kann mich nicht richtig bewegen. Etwas ist an meinen Handgelenken, hält sie zusammen. Es ist dunkel. So dunkel. Schemenhaft erkenne ich Wände, die den engen Raum um mich herum begrenzen. Sie sind seltsam nah. Mein Mund ist trocken und ein chemischer Geruch klebt in meiner Nase. Er haftet an mir und zieht mich zurück in die Gedankenlosigkeit. Ich möchte ihm nachgeben. Seiner Schwere folgend weiter sinken. Stattdessen stemme ich mich mit aller Kraft dagegen an. Ich erinnere mich nicht. Nicht, wie ich an diesen Ort kam. Nicht, wer ich bis zu diesem Augenblick gewesen bin. Es fühlt sich ein bisschen so an, als sei mein Bewusstsein gerade eben erst erwacht. Als hätte es gar kein Davor gegeben. Als wäre ich so, wie ich jetzt bin, in die Welt geworfen worden. Die Ahnung eines Traumes klingt in mir nach, doch ich kann keine Bilder daraus greifen. Sie verschwimmen im Nebel meiner getrübten Wahrnehmung. Von Außen, der Welt hinter der Dunkelheit, hinter diesen seltsam nahen Wänden, dringen Geräusche zu mir herüber. Ich kann sie nicht zuordnen. Lausche ihnen nur. Halte mich an ihnen fest, um meiner Isolation zu entfliehen. Sie sind mein Anker, der mir zeigt, dass ich nicht ganz allein bin und eingeschlossen in mich selbst. Der Schleier, der mich in diesem Augenblick gefangen hält, beginnt sich zu lichten. Erinnerungen mischen sich mit den Bildern meines Traumes. Noch kann ich nicht unterscheiden, was davon real ist. Doch wie in einem Puzzle, das sich selbst vollendet, fügt sich nach und nach alles zusammen. Ergibt ein stimmiges Ganzes. Ein fremder Mann, der mich gepackt hat. Gegen den ich mich nicht wehren konnte. Egal, wie ich mich gewunden habe. Sein Flüstern. Die Worte habe ich nicht verstanden. Nur die Drohung in seiner Stimme. Das Tuch in meinem Gesicht. Der chemische Geruch. Dunkelheit. Die Geräusche von Draußen werden lauter. Dann öffnet sich ein Spalt vor mir. Das Licht, das durch ihn dringt, blendet mich, brennt in meinen Augen. Ich liege in einem Kofferraum. Gefesselt. Die Sonne steht hoch am Himmel. Hinter den Wolken kann man sie erahnen. Die Luft ist feucht und schwer. Es muss geregnet haben. Die Gestalt des Mannes ist nur ein dunkler, bedrohlicher Schatten, der sich zu mir beugt. Ich sehe ihm dabei zu, wie er meine Fesseln löst. Knoten für Knoten. Spüre die Wärme zurückkehren in meine halbbetäubten, steifen Glieder. Er sagt etwas von einer Chance, die er mir lässt. Dass ich sie nutzen soll. Er lässt mich frei, wenn ich ihm entkommen kann. Plötzlich stehe ich. Wir sind auf einem Parkplatz. Rechts ist eine lange Straße, die sich durch eine menschenleere Gegend windet. Links von uns ein Wald. Er gibt mir zehn Minuten Vorsprung. Ohne nachzudenken renne ich auf den Waldrand zu. Werfe mich zwischen die Bäume auf den Boden und krieche durch den Schlamm hinein in mein Versteck, richte mich wieder auf und renne. Renne als gäbe es kein Morgen. Und vielleicht gibt es das auch nicht. Folgt er mir schon? Sind die zehn Minuten schon um? Ich höre ein Rascheln hinter mir und Stürze in eine neue Dunkelheit. Der Boden ist durchweicht. Er klebt an mir. Wie Treibsand. Ich kann mich nicht von ihm lösen. Bald schon schließt er mich ganz in sich ein. Trennt mich von dem Licht und von der Luft. Das Geräusch, das mich so erschrocken hat, wird lauter.

Es dauert etwas, bis es in mein Bewusstsein vordringt. War alles nur ein Traum? Ich muss geschlafen haben. Ja, das habe ich wirklich. Verflucht. Wie lange war ich weg? Und der Schlaf hat mir auch kein Vergessen gebracht. Selbst darin verfolgt er mich noch. Mein Körper fühlt sich schwer an. Mein Geist benommen. Doch etwas weiß ich mit erschreckender Klarheit: Er ist da. Endlich. Plötzlich bin ich wieder hellwach. Reiße meine Augen auf und sehe ihn. Er steht einfach da und betrachtet mich. Lächelnd. Sein Blick ist hungrig und wild. Gierig auf mein Fleisch und meinen Schmerz. Auf meine Schreie und meine Tränen.

Gebannt von der Anmut seiner Stärke verharre ich regungslos vor ihm. Ein paar Meter trennen uns noch. Genug, um fortzukommen. Ich weiß, ich sollte kämpfen und fliehen. Doch ich kann nicht. Ich kann nur zusehen. Zusehen, wie er immer näher kommt. Ganz langsam. Seinen Sieg über mich mit jedem Schritt auskostend. Wie gelähmt warte ich, um ihn zu empfangen.

Fast ist er bei mir. Ich halte den Atem an. Konzentriere mich auf seine Bewegungen. Dann löst sich meine Anspannung und vertreibt die Lähmung. Ein letzter Akt. Der verzweifelte Sprung. Nicht fort von ihm, sondern auf ihn zu. Meine Nägel durchbohren seine Haut. Meine Zähne dringen in sein Fleisch. Sein Blut ist warm. Es klebt an meinen Lippen. Doch ihn scheint es nicht zu stören. Er hält mich nur mit einem Arm. Mehr braucht er nicht für mich. Meine eigene Schwäche erkennend kapituliere ich. Gestehe mir ein, dass er überlegen ist. Winde mich weiter. Mehr willkürliche Reaktionen meines Körpers, der das Unvermeidliche nicht einsehen will. In seinem Griff drückt er ganz fest zu. Der Schmerz ist so heftig, dass ich mich nicht dagegen wehren kann. Folge ihm hinunter auf den Boden. Ich würde alles tun, nur damit dieser Schmerz nachlässt. Alles. Seine Berührung lockert sich. Ich knie vor ihm und blicke zu ihm auf. Er hat mich.

Januar 2018

Foto: Msunderstood

Eine tolle Künstlerin, die es immer schafft, mit ihren Bildern eine Geschichte zu erzählen.

Das Objekt

„Es ist essentiell für den Erfolg der Befragung, dass das Objekt jederzeit eine reelle Chance hat aus der Situation heraus zu kommen. Indem es die richtige Antwort gibt.“
Seine Stimme dringt wie durch dichten Äther in mein Bewusstsein. Irgendwie zäh und gedämpft. Es ist seine böse Stimme. Sie klingt noch sehr viel böser als sonst, weil ich nichts sehen kann. Die Augenbinde passt perfekt. Kein kleiner Spalt, kein Lichtschimmer. Nur Dunkelheit. Die Geräusche und seine Stimme sind die einzige Verbindung, die ich mit dem Außen habe. Ich kenne ihn mittlerweile. Nur für gewöhnlich sind wir allein, wenn er kommt, um mich zu quälen. Heute ist das anders. Auch die Bühne, auf der wir stehen, ist neu. Zumindest ist es in meiner Vorstellung eine Bühne. So, wie in einem kleinen Theater, in dem Schauspiel und Publikum nicht wirklich voneinander getrennt sind. Aber eigentlich weiß ich nicht, in was für einem Raum wir uns befinden. Ich kann mich auch gar nicht erinnern, wie er mich hergebracht hat.

Es dauert einen Moment bis ich die Bedeutung seiner Worte verstehe. Ich muss mich noch an die Situation gewöhnen. Mich zurechtfinden. Aber es ist eine schwache Hoffnung. Obwohl ich eigentlich weiß, dass es diese reelle Chance überhaupt nicht gibt. Er wird weitermachen, ganz egal, was ich sage. Es gibt keine Antwort. Ich weiß es und er weiß, dass ich es weiß. Das macht es vermutlich umso interessanter für ihn, eine Reaktion zu provozieren. Die Illusion einer Chance. Werde ich versuchen, sie zu nutzen?

Einem Teil von mir widerstrebt es sehr, ihm zu geben, was er will. Meinem Peiniger. Doch dieser Teil ist gerade schwach. Die Option zu verlockend. Vielleicht gibt es sie ja doch, diese Chance? Wenn mir nur irgendetwas einfällt. Eine kluge Idee. Aber mein Verstand funktioniert nicht richtig. Das Denken fällt mir schwer. Gedanken kommen und lösen sich auf, bevor ich sie richtig greifen kann. Der größere Teil von mir hat einfach Angst. Ich kenne nicht alle Geräusche, die er macht. Das verunsichert mich. Das Publikum, vor dem er über die Feinheiten seiner Befragung referiert, verunsichert mich. Dass er nicht anfängt, verunsichert mich.

Ich bin nackt. Nur mit einer Hand an ein Andreaskreuz gefesselt. Ich fühle seine Konturen an der Wand, die meine kleine Welt an diesem Ort begrenzt. Es ist gepolstert. Etwas Weiches zwischen all dem Harten hier. Ich kann mich drehen. Ich kann mich winden. Aber ich komme nicht weg. Er hat mich mit den bösen Handschellen festgebunden. Die, die nur eine breite Verbindung mit drei Gliedern haben. Und Kanten, so dass ich nichtmal mit meinen kleinen Händen und diesem einen Trick, die Finger zu schließen, hinauskommen werde. Trotzdem probiere ich es. Sie sitzen trügerisch locker an meinem schmalen Handgelenk, aber an den Knochen komme ich einfach nicht vorbei. Ich konzentriere mich auf seine nüchterne, böse Stimme. Spüre seine Gegenwart. Die Einleitung seines Vortrages ist vorbei. Gleich wird das Verhör endlich beginnen. Er ist mir ganz nah. Zu nah. Ich fühle, wie er mich ansieht und beobachtet.
„Ist es sicher?“, höre ich ihn ruhig aber sehr bestimmt fragen.
Es lässt mir das Blut in den Adern gefrieren, obwohl ich ja damit gerechnet habe. Denn dies ist die eine Frage, auf die es ganz bestimmt keine Antwort gibt. Dennoch rufe ich ihr eine entgegen, bettele, wimmere. Aber die Stimme reagiert nicht auf mich.

„Sie sehen, das Objekt zeigt keine Reaktion. Es schweigt. Nun gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie wir es zum Reden bringen können“, fährt die Stimme sachlich fort. Kunstvoll spielt sie mit Betonungen und Pausen. Ich glaube, sie sind nur für mich gedacht, damit die Informationen sich tiefer in mein Bewusstsein graben können. Noch bevor sie weiterspricht, drängen sich mir unterschiedlichste Möglichkeiten in den Sinn. Vertreiben kann ich diese Ideen nicht mehr. Die Stimme ist es gewohnt vor Menschen zu sprechen, ihnen etwas zu vermitteln.

Mir wird klar, dass es nicht nur keine richtige Antwort gibt, sondern dass ich sogar völlig ignoriert werde. Als wäre ich gar nicht da. Oder besser gesagt, als wäre meine Persönlichkeit nicht existent. Ich versuche, mich zu verteidigen. Der Stimme zu erklären, dass ich doch etwas gesagt habe. Dass sie mir zuhören soll. Aber das will sie nicht. Es geht nicht um die Antwort, sondern darum, mich zu quälen. Eine Reaktion hervorzurufen. Und es funktioniert. Die Erkenntnis trifft mich. Trotzdem bettele ich weiter. Möchte dem Mann, der zu der Stimme gehört, klarmachen, dass ich die ganze Zeit rede. Er macht Geräusche, die ich nicht zuordnen kann. Jedes davon erschrickt mich. Ich höre, wie er sich durch den Raum bewegt. Raubtierhaft, lauernd, mich weiter beobachtend. Jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt. Ich bin bereit zur Flucht, wenn sich mir nur eine Möglichkeit bietet. Doch die gibt es gerade nicht.

Er wiederholt seine Frage. Ich wiederhole meine Antworten. Dann kommt der erste Schlag. Seine anfänglichen Ausführungen, eine gefühlte Ewigkeit, waren nur die Vorbereitung auf diesen Moment. Ein Auftakt. Die Steigerung meiner Angst und des Ohnmachtsgefühls. Ich höre mich schreien. Mehr vor Schreck, als vor Schmerz. Spüre, wie mein Körper entkommen will, Richtungen sucht, in die er sich bewegen kann. Fort von dem Schmerz. Fort von der Stimme. Doch die Handschellen halten mich erbittert fest. Und wo sollte ich auch hin? Selbst wenn ich frei käme, wäre es für ihn nur ein beiläufiger Griff, eine mühelose Bewegung, mich wieder einzufangen. Ich zittere, weiß nicht, was als nächstes kommt. Versuche mich in meiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit, in meiner schutzlosen Nacktheit, irgendwie doch vor ihm zu schützen, obwohl es hier keinen Schutz für mich gibt. Hier gibt es nur ihn, seine Instrumente, das Publikum und meinen verletzlichen Körper. Meine Schreie werden nicht erhört. Mein Betteln verhallt irgendwo zwischen den Worten seines makaberen Vortrags und den Schlaggeräuschen seines Spielzeugs auf meiner nackten Haut.

Ich zittere immer stärker. Muskeln spannen sich willkürlich an und verkrampfen. Schläge treffen auf meinen Körper, auf meine Beine, auf meine Füße. Doch sobald ich sie wegdrehe, gebe ich meine empfindliche Fußsohle preis. Das ist noch schlimmer und ich präsentiere ihm wieder einen anderen Körperteil. Er nutzt jede Möglichkeit, die sich ihm bietet. Mein Herz rast, mein Kopf dröhnt. Der Schmerz ist überhaupt nicht heftig, aber meine Anspannung ist so groß, dass sich jede Berührung, jedes Geräusch wie eine gewaltige Lawine aufbaut, über mein überreiztes Bewusstsein hinwegfegt und mich mit sich fortreißt. Ich habe keine Kontrolle mehr über meine Muskulatur, beobachte meine Reaktionen, versuche nicht daran zu denken, was mir noch bevorsteht. Doch meine Fantasie arbeitet und hinter der Augenbinde, der Mauer, die mich von der Welt trennt, die mich in meiner Vorstellungskraft, einem Panoptikum der Grausamkeiten, einschließt, laufen tausend Bildfolgen ab. Eine schrecklicher als die andere. Drohende Ungeheuer, die versuchen mir aufzulauern und meine Furcht immer weiter wachsen lassen.

Angstschweiß läuft an meinem Rücken hinab. Ich spüre ihn auf jedem Zentimeter meiner sensibilisierten Haut. Warm und kalt zugleich. Feucht. So, wie die Nässe zwischen meinen Schenkeln, von der mein verrätischer Körper viel zu viel produziert, um es vor meinem Foltermeister verstecken zu können. Prüfend greift er in den wartenden Spalt. Wie gewohnt trägt er diese Handschuhe, die ihn von mir trennen. Irgendwo darunter ist seine warme, weiche Haut. Doch die Nähe, die ich so sehr brauche, bekomme ich jetzt nicht. Der Drache spielt mit mir. Ich komme nicht weg, kann nicht verhindern, dass er meine Geilheit bemerkt. Wut und Trotz regen sich in mir, nur um sofort bitterer Verzweiflung zu weichen.

Ich höre ihn erklären, dass ich wieder keine Reaktion gezeigt hätte. Dass härtere Mittel notwendig seien. Mein halbersticktes Winseln wird nicht gehört. Doch irgendwo in meinem Innern hallt noch immer das Echo seiner Stimme nach, das eine reelle Chance versprochen hat. Ich klammere mich an die Vorstellung, dass es sie doch geben könnte. Die Schwimmweste in diesem dunklen Meer der Angst, in dem ich vor mich hin treibe und versuche, meinen Kopf über Wasser zu halten. Meine Verzweiflung wird potenziert durch diese absolute Degradierung zum Objekt. Meine Persönlichkeit scheint sich aufzulösen, zu schwinden. Ich weiß ja, dass es sie gibt. Ich kenne mich. Hier aber zählt sie nicht. Oder eben nur zum Zweck dieser abscheulichen Befragung. Meine Reaktionen dienen einzig der Demonstration seiner Methoden und was sie in mir, dem Objekt, hervorrufen. Nein, er wird keine Nachsicht haben.

Dann zwingt er meine Fußgelenke in die Manschetten einer Spreizstange. Ein bisschen wehre ich mich, aber die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens, ist mir zu deutlich bewusst und meine Bemühungen bleiben deshalb eher halbherzig. Was hätte ich ihm jetzt schon entgegenzusetzen? Also füge ich mich, spüre wie sich die Fesseln um meine Haut schließen. Die Stange hält meine Beine nun unnachgiebig auseinander und ich präsentiere ihm breitbeinig meine empfindlichsten Stellen. Noch mehr Fläche für seine Schlaginstrumente. Ich höre etwas über den Zugriff auf alles. Den Kontext kann ich aber nicht erfassen. Zu viele Emotionen kochen in mir hoch und drohen, mich zu zerreißen.

Erinnerungen schleichen sich in mein Bewusstsein. Nähe und Geborgenheit, die ich in seinen Armen gefunden habe. Unser leises Lachen aus diesen Momenten klingt seinen fröhlichen Klang in meine düstere Realität. Unser Pakt, dass ich ihm gehöre für die Momente unserer Lust und vielleicht sogar ein wenig darüber hinaus. Wir sind Komplizen, Weggefährten. Ich möchte ihn in mir aufnehmen. Ihn spüren und so den Bann der Kälte brechen, der mich in sich einschließt. Würde er doch nur in mich eindringen, mich von meiner Angst befreien. Meine Lust quält mich fast genauso sehr wie er. Ganz in diesem Gefühl, gefangen zwischen Leid und Lust, verliere ich mich. Kann nicht mehr genau sagen, was wirklicher ist. Gibt es das imaginäre Publikum vielleicht tatsächlich?

Fiktion und Realität beginnen sich in einem beunruhigenden Spiel zu vereinigen. Und in diesem Moment spüre ich den Gürtel. Wie eine Schlaufe will er ihn mir um den Hals legen. Diesmal wehre ich mich wirklich, möchte entkommen. Er aber folgt meinen Bewegungen, packt mich. Die Spreizstange lässt meine Bemühungen vermutlich kläglich wirken und trotzdem kämpfe ich, winde mich in seinen kräftigen Armen. Erstaunt darüber, dass ich in dieser Eingeschränktheit noch so viele Möglichkeiten habe, mich zu bewegen. Und plötzlich ist da dieser eine Gedanke, erschreckend klar: Was, wenn doch alles echt ist?

Das erste Mal ist das Safeword gefallen. Kein Schrei. Ein leises, beinahe ersticktes Wimmern, in dem sich die Anspannung still entlädt. Mehr hoffend, als sich seiner Wirkung sicher. Irgendwie bin ich überrascht, dass du darauf reagierst. Dass du zu mir zurückkehrst. Dass doch alles nur ein Spiel gewesen ist. Du schließt deine Arme um mich, hältst mich, flüsterst mir sanfte Worte zu. Nimmst mir die Augenbinde ab. Der Raum ist mir vertraut. Hier ist nichts Böses. Keine Bühne, kein Publikum. Nur du und ich. Und augenblicklich wünschte ich, ich hätte durchgehalten. Trotzdem tut es gut, dich zu spüren. Deine weiche Stimme zu hören. Mich von ihr zurück in die Realität holen zu lassen. Zu sehen, dass wir noch immer wir sind. Ich schmiege mich an deine Schulter und atme deinen vertrauten Geruch ein. Du bist behutsam, zärtlich, liebevoll. Dann machst du mich los und führst mich in einen anderen Raum. Es ist alles wie immer und doch ein bisschen anders. Der Augenblick ist intensiver. Geflüsterte Worte durchdringen mich und meinen Geist. Hallen in mir wieder. Schmerz macht stark, hast du gesagt. Und in diesem einen Moment größter Schwäche, beginne ich daran zu glauben.

PEINliche Befragung

Ich bin nackt. Mit Handschellen an die Kette an der Wand gefesselt. Du hast mir etwas Bewegungsfreiheit gelassen, indem du einfach nur eine Handschelle hinter der Kette hindurch gezogen hast. Doch diese Freiheit ist begrenzt. Weg komme ich nicht. Eine Hand vor der Kette, eine dahinter. Dazwischen Metall auf Metall. Dann hast du mir einen Sack über den Kopf gezogen und mich allein gelassen. Nackt und angekettet warte ich auf dich. Eine Minute hast du gesagt. Der schwarze Stoff ist dünn und etwas durchsichtig. Der Raum dahinter verschwimmt zu vagen Formen und obwohl er mir so vertraut ist, kämpfe ich darum, die Orientierung zu behalten.

Wo bist du hingegangen? Geräusche dringen von irgendwo auf mich ein. Mein Puls beschleunigt sich. Ich frage mich, was du mit mir vor hast. Du hast die Instrumente, mit denen du auf mir spielen wirst, schon bereitgelegt. Eine Peitsche hat geknallt. Ich bin zusammengezuckt. Dieses Geräusch kenne ich. Andere konnte ich nicht zuordnen. Eine Minute kann sich sehr lang anfühlen. Ich weiß, dass du mir diese Zeit ganz bewusst lässt. Trotzdem verfehlt sie ihre Wirkung nicht. Ich frage, wo du bist. Du antwortest sogar. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Es tut gut deine Stimme zu hören, nicht ganz allein zu sein. Noch eine halbe Minute warten. Dreißig Sekunden. Ich zähle nicht.

Schritte, die näher kommen. Du ziehst mir den Sack vom Kopf, doch du bist nicht da. Er ist da. Andere Kleidung, ein harter Blick. Du bist warm und stark, er ist kalt und unnahbar. Und mit ihm bin ich jetzt allein. Er zieht sich Latexhandschuhe an. Das hasse ich, denn sie machen jede Berührung unpersönlich. Ich bin sein Objekt und gleich wird die Behandlung beginnen. Ich habe Angst vor ihm. Er wird mir weh tun.

Jetzt ist er ganz nah, sieht mir in die Augen. Der Hunger, den ich sonst darin lese, ist kalter Grausamkeit gewichen. Sie erregt mich. Seine Stimme ist ein bedrohliches Flüstern: „Ist es sicher?“, fragt sie ruhig. Ich bin verwirrt, weiß nicht, was er meint. Also versuche ich es mit einem Ja. Es war die falsche Antwort. Er wird böse und schlägt zu. Die Frage wird mich das ganze Spiel hindurch begleiten und der Schmerz, der darauf folgt. Wahrscheinlich gibt es gar keine Antwort, aber die Angst vor seiner Reaktion lässt mich alles mögliche ausprobieren.

Der Rohrstock knallt auf meinen Fußrücken. Es ist ein heftiger Schmerz. Nicht beißend, nicht dumpf. Irgendetwas dazwischen. Ich habe Angst, versuche die empfindlichen Körperregionen zu schützen. Doch dann treffen die Schlaginstrumente eine neue Stelle. Am schlimmsten sind die Beine. Die Peitsche schlingt sich wie eine Schlange um sie und beißt zu. Spitze Zähne scheinen sich in meine Kniekehlen zu bohren. Ich hasse meinen Foltermeister. Komme nicht weg von ihm. Er findet immer neue Flächen, die ihm schutzlos ausgeliefert sind. Irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung verliere ich mich. Verliere mich im Kampf gegen seine Macht.

Dann packt er meinen Fuß und lässt mich meine Fußsohle preisgeben. Ich weiß, was kommt und dass es schlimm wird. Bitte ihn, es nicht zu tun. Doch er redet nicht mit mir. Reagiert nicht auf mich. Nur diese eine Frage wiederholt er wieder und wieder. Jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt. Mein Körper wartet auf das, was ihn gleich erwartet. Dann knallt der Griff der Peitsche unbarmherzig auf die empfindliche Haut. Der Schmerz lässt nicht nach, sondern breitet sich in Wellen aus. Eine Schmerzkaskade. Noch ein Schlag und noch einer. Schmerz, der in Schmerz übergreift. Sich pulsierend aufbaut, ohne wieder abzuebben.

Ich bin der Schmerz, kann nicht mehr klar denken, verliere die Beherrschung. Nur ein einziger Gedanke ist geblieben: Fortkommen. Irgendwie. Weg von ihm. Den Fuß drehen. Nicht noch einen Schlag spüren. Ich winde mich in seinen Armen. Doch er folgt meinem Körper mit geschmeidigen Bewegungen, so dass mein Fuß in der richtigen Position bleibt. Seine Arme halten mich wie ein Schraubstock. Ich schreie ihn an, denn es ist die einzige Freiheit, die ich in diesem Augenblick noch habe. Er wird erst dann aufhören, wenn er es will. Ich überlege, ob ich ihn mit irgendeiner Antwort zufriedenstellen könnte. Weiß aber, dass es sinnlos ist.

Er will mich quälen. Egal, was ich sage oder mache. Ich denke darüber nach, ihn zu treten oder zu beißen, aber das traue ich mich dann doch nicht. Er braucht ja nicht mal sein Werkzeug, um mich zu bezwingen. Ein paar Griffe reichen und ich kniee vor ihm. Ich spüre seine Hand an meinem Hals und wundere mich darüber, dass ich gar keine Angst habe. Er weiß ganz genau, was er macht. Die Erkenntnis gibt mir eine seltsame Ruhe und ich lasse mich fallen. Tief und tiefer in meine Lust an seinem grausamen Spiel. Ich bin nass. Mein Körper ist ein mieser Verräter.

„Ist es sicher?“, fragt er wieder und sieht mir dabei in die Augen. Ich halte stand, bin wütend, bin ängstlich, bin geil. All das will ich ihm zeigen und öffne ihm den Blick in meine Seele.
„Es gibt keine Antwort.“, erwidere ich trotzig. Es ist mir gleichgültig, was geschehen wird. Bis ich den Schmerz fühle. Süßen, köstlichen, schrecklichen Schmerz. Angst. Und Lust. Die Gefühle wechseln im Sekundentakt. Ein Rausch der Sinne. Mein Wunderland.

Irgendwann ist es vorbei und du bist wieder da. Hältst mich fest, fängst mich auf, streichelst mich. Ich fühle mich geborgen. Bin ganz im Moment. „Starkes, zartes Mädchen.“, lächelst du sanft und warm. Endlich bist du zurück. Du sagst, du seist stolz auf mich und kindliche Freude erfüllt mich. Es fühlt sich richtig an, dich stolz zu machen.